Eine Patientin kam zu mir und klagte über folgende Symptome. Sie berichtete, dass sie oft müde sei. Zu dem sei sie ganz oft mit ihren Gedanken beschäftigt. Darin beschäftige sie sich damit, was sie in der Vergangenheit alles falsch gemacht habe. Zudem würden sie Sorgen um die Zukunft plagen. Sie wisse nicht weiter und fühle sich völlig überfordert.

Diese Schilderung höre ich sehr oft. Menschen kommen an diesem Punkt, weil ihre bisherigen Bewältigungsverhalten nicht mehr ausreichen um die Realität so zu bewältigen, dass Freude aufkommt. Dabei ist es gerade die Freude, die alle fühlenden Wesen anstreben.

Unsere Psyche erkennt das. Deshalb schickt sie uns die depressive Verstimmung. Damit werden wir gezwungen zur Ruhe zu finden.

Wenn Menschen einen Knochenbruch erleiden, zwingt sie der Schmerz der Bewegung dazu, sich ruhig zu verhalten. Das hat die Natur so eingerichtet, weil der Bruch diese Ruhe benötigt, um zu heilen. Bei psychischen Probleme verhält sich dies genauso. Allerdings ist es für uns nicht, wie beim Knochenbruch, äußerlich erkennbar.

Menschen können diese Situation nutzen, um sich weiterzuentwickeln. Wir können durch Achtsamkeit lernen die depressive Phase zu nutzen.

Durch die Müdigkeit können wir zur Ruhe finden. Mit den richtigen Werkzeugen können wir diese Ruhe erzeugen und nutzen.

Dabei hilft uns unser Atem. Diesen haben wir immer dabei. Wir brauchen nur darauf zu achten, wie wir ein- und ausatmen. Dabei konzentrieren wir uns nur auf unseren Atem. Wir sind uns bewusst, wenn wir einatmen, dass wir einatmen. Beim ausatmen sind wir uns bewusst, dass wir ausatmen. Wir brauchen uns nur auf unseren Atem zu konzentrieren und sind dadurch im gegenwärtigen Moment.

Im gegenwärtigen Moment findet unser Leben statt. Ein kluger Mann sagte einmal, die Vergangenheit ist bereits geschehen. Sie lässt sich nicht ändern. Die Zukunft ist noch nicht da. Wir wissen nicht, was dann passieren wird. Wüssten wir das, würden wir Lotto spielen.

Im oben geschilderten Symptomenbild, schildert die Patienten, dass sie oft mit ihren Gedanken in der Vergangenheit oder Zukunft ist. Dabei schneidet sie sich von der Gegenwart ab und damit von Ihrem Leben. Ihre Gedanken sind also wenig hilfreich. Nur wenn es uns gelingt, mit Hilfe unseres Geistesbewusstseins, die Gedanken zu bändigen, können wir unser Potenzial nutzen. Reines Grübeln ist dagegen einen Gedankenkarussell, das uns nach unten zieht und damit die depressive Stimmung verstärkt.

Der erste Schritt besteht darin, durch unseren Atem im gegenwärtigen Moment zu verweilen. Der zweite Schritt besteht darin, durch Konzentration bei unserem Atem zu bleiben. Der dritte Schritt führt dann zur Erkenntnis.

Dadurch, was wie er beim Atmen Körper und Geist zusammenbringen und uns konzentrieren, können wir lernen tiefer zu schauen. Schauen wir tiefer, können wir erkennen, was hinter unseren Gedanken und Emotionen verborgen ist.

Dazu gibt es eine alte Geschichte: Ein Volk verehrte einen goldenen Buddha. Dieser war sehr wertvoll. Als diesem Volk einen Überfall drohte, wurde beschlossen, den goldene Buddha durch eine Lehmschicht zu tarnen. Nur wenige wussten war rüber. So wollte man verhindern, dass er geraubt wird. Generationen später, hatte man vergessen, dass unter der äußeren Lehmhülle ein goldener Buddha verborgen war. Der eigentliche Schatz war also nicht mehr erkennbar. Als eines Tages ein ungeschickter Tempeldiener durch ein Missgeschick die Buddhafigur beschädigte, war er sehr erstaunt, dass er darunter pures Gold sehen konnte. Nach dem ersten Schock, war er voller Freude.

Genau so kann es uns ergehen. Durch das „Missgeschick“ der Depression, wird uns der war Schatz, der in uns ruht offenbart. Mit diesem wahren Schatz werden wir geboren. Durch das, was wir erleben, sammeln wir nach und nach eine Schutzschicht an, so dass unser wahrer Schatz verborgen wird. Diese Schichten können wir nach und nach durch achtsames Denken wieder freilegen.

Gerade bei depressiven Stimmungen reagiert unser Gehirn sehr selbständig. Das führt auch dazu, dass geringe Reize, die nicht zu übermäßigen Gefühlen führen würden, automatisch mit gespeicherten negativen Emotionen verknüpft werden. Dadurch spüren wir dann übermäßige negative Emotionen.

Teasdale (1988) stellt sogar fest, dass depressiven Rückfällen auch ohne äußeren Auslöser (z. B. negatives Lebensereignis), nur durch negative Gedanken auslösbar sind. Bei einer depressiven Episode wird eine Assoziation zwischen negativer Stimmung und dysfunktionalen kognitiven Gedanken im Gedächtnis gespeichert. Je mehr depressive Episoden eine Person erlebt hat, desto stärker wird diese Verknüpfung. In der Folge reichen dann bereits alltägliche negative Stimmungszustände aus, um dysfunktionale kognitive Strukturen zu aktivieren.

Negative Gedanken und negative Stimmung verstärken sich gegenseitig. In der Folge kann sich eine erneute depressive Episode entwickeln, ohne dass der Betroffene einen expliziten Auslöser anzugeben vermag. Meist gehen der ersten depressiven Episode kritische Lebensereignisse voraus, während depressive Rückfälle bereits durch leichtere negative Stimmungszustände ausgelöst wurden (Lewinsohn et al. 1999). Zudem wiesen Personen, die unter negativer Stimmung dysfunktionale Schemata aktivierten (kognitive Reaktivität), ein deutlich höheres Rückfallrisiko auf als Personen die unter negativer Stimmung keine dysfunktionalen Schemata aktivierten (Segal et al. 2006).

Ein weiterer Auslöser für depressive Verstimmungen ist der kognitive Verarbeitungsprozess. Als ein zentraler Risikofaktor für die Entstehung eines depressiven Rückfalls wurde Grübeln entdeckt. Grübeln geschieht, wenn eine Person in negativer Stimmung ihre Aufmerksamkeit auf sich selbst fokussiert und anhaltend über das momentane negative Befinden, dessen Ursache und Konsequenzen nachdenkt. Dies tut sie in der Hoffnung, die eigenen Gefühle besser verstehen und dadurch die negative Stimmung leichter verändern zu können. Allerdings tritt genau der gegenteilige Effekt ein: Beim Grübeln weist die Person geringere Problemlösefertigkeiten auf und die negative Stimmung dauert länger an, kann sich sogar zu einer depressiven Episode verschlechtern. Untersuchungen zeigten, dass Personen, die auf negative Stimmung gewohnheitsmäßig mit Grübeln reagieren, längere und schwerere depressive Episoden erleben als Personen, die ihrer negativen Stimmung ablenkende Aktivitäten entgegensetzen.

Dies geschieht, wenn wir Achtsamkeit lernen. Achtsamkeit entspricht einem Ausdauertraining der geistigen Kräfte und verbessert somit:

  • Wahrnehmung, d.h. die eigenen Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen werden offener, stärker und differenzierter wahrgenommen, so dass bspw. kleine Auslöser für Verhaltensweisen erkannt und die jeweiligen Gegenüber vollständiger erfasst werden können.
  • Konzentration (=Fähigkeit zur selektiven Aufmerksamkeit), d.h. die willentliche, zielorientierte Fokussierung der Wahrnehmung auf die Dinge, die relevant sind.
  • Präsenz/Gegenwärtigkeit, d.h. die Fähigkeit, vermehrt im gegenwärtigen Augenblick zu sein, anstatt in Erinnerungen, Gedanken und Gefühlen „wegzudriften“.
  • den Aufbau eines inneren Beobachters (Satellitenposition), was eine Distanz zwischen Wahrnehmung und Reaktion schafft, so dass mehr Entscheidungen bewusst getroffen werden können und sich insgesamt die innere Wahlfreiheit erhöht.
  • Selbstregulationsfähigkeit durch die verbesserte Verhaltenskontrolle (siehe Wahrnehmung) und die gesteigerte Emotionsregulation (siehe innerer Beobachter).
  • Gelassenheit, d.h. die radikale Akzeptanz/die Erlaubnis aktiv alles so wahrzunehmen wie es ist, so dass auch schmerzliche und neue Erfahrungen dem Bewusstsein zugänglich sind und nicht mehr verdrängt werden müssen, anstatt zu resignieren.

Durch die praktizierte Achtsamkeit können wir nicht nur lernen mit der depressiven Stimmung besser umzugehen, sondern uns selbst besser wahrnehmen. Wir lernen unsere Bedürfnisse zu erkennen und adäquate Verhaltensweisen auszuprobieren, mit denen wir für deren Befriedigung sorgen. Das Ergebnis ist eine neue Qualität zu leben. Wir zeigen dann nicht mehr die als Kind gelernten Bewältigungsverhalten, wie Kampf, Flucht oder Unterordnung.

Wir können durch achtsames Betrachten eine Vielfalt von Verhalten auswählen. Die Fähigkeiten dazu besitzen wir. Dies ist der verborgene Schatz in uns. Er wird uns deutlich, wenn wir lernen tiefer zu schauen und nicht nur an der Oberfläche bleiben. Wir haben für alles bereits eine Lösung in uns. Es gilt, diese zu entdecken.

Das Verhaltensrepertoire kann dann, die jeweilige Situation berücksichtigend, flexibel und passend ausgewählt werden. So gibt es Situationen, wo wir vielleicht besser kooperieren oder uns einordnen. In anderen ist es wichtig sich selbst zu behaupten und Forderungen zu stellen.

Durch den achtsamen Zugang zu unserer wahren Natur, können wir dann alle unsere Fähigkeiten flexibel nutzen. Wir lernen dann auch mit dem erfahrenen Leid umzugehen. Leid gehört zum Leben dazu. Diese Pfeile treffen uns und tuen weh. Diesen Schmerz können wir aushalten.

Durch Grübeln schießen wir einen zweiten Pfeil in die Wunde. Das tut dann besonders weh. Diesen zweiten Pfeil können wir durch achtsamen Umgang mit uns verhindern.

Achtsam können wir unseren Schmerz zulassen und spüren, wie er weniger wird. Das stärkt uns und wir können aus dem erfahrenen Leid lernen. Wir können lernen aus diesem Leid wieder Freude zu transformieren. Ähnlich, wie aus pflanzlichem Unrat Kompost wird, der dann als Nahrung für neue Blumen dient, können wir Leid nutzen, um daraus Freude zu nähren.